Schmerztherapie

Trotzdem gibt es Situationen, in denen wir den Schmerz überwinden: Bei großer Gefahr, bei Unfällen oder bei sportlichen Wettkämpfen sind wir in der Lage, Schmerzen zu unterdrücken. Menschen, die solche Situationen erfolgreich überstehen, werden als Helden gefeiert und verehrt.

Ganz anders ist die Situation beim chronischen Schmerz. Der chronische Schmerz überdauert die auslösende Ursache und macht seinen Träger zum Schmerzpatienten, zum Erdulder eines chronischen Leidens. Er kann seelische Veränderungen als Folge bekommen und nicht selten wird er auch soziale Folgen, zum Beispiel den Verlust seines Arbeitsplatzes, befürchten müssen. Der Warncharakter des Schmerzes ist nicht mehr vorhanden. Der Schmerz hat seine eigentliche Funktion, seine Aufgabe verloren und existiert nun als eigenständige Krankheit, wird zum Lebensinhalt, wird zum Kernpunkt eines veränderten Daseins.

In Deutschland leiden zurzeit mehr als elf Millionen Menschen an zum Teil unerträglichen chronischen Schmerzen, die ihr Leben zu zerstören drohen. Denn unabhängig vom Alter gelten Schmerzpatienten auf der Werteskala unserer Gesellschaft als Verlierer, meist invalide im Wortsinn, weil ihre Körperfunktionen schmerzhaft eingeschränkt sind. Weil sie so anstrengend unglücklich sind, weil sie nicht funktionieren, nicht mitmachen, werden sie von der Umgebung - auch der Familie - mehr und mehr isoliert und kapseln sich ab.

Die daraus resultierende Depression bei bis zu 50 Prozent aller Patienten begünstigt eine negative Entwicklung: der Schmerz wird Herr, bestimmt den Tages- und Lebenslauf. Angst bei mindestens zehn Prozent und Schlaflosigkeit bei zirka 20 Prozent ergänzen sich in bunter Kombination bei den meisten Patienten. Sie variieren in ihrer Ausprägung - vor und während einer Behandlung.

Um zu helfen, braucht man Zeit, Schmerz in seiner Ursache, seinen Auswirkungen auf den Körper, die Psyche und das soziale Umfeld zu analysieren. Not ist nur nach sorgfältigem Abwägen aller Voraussetzungen zu lindern. Hier gibt es Bedarf für eine Qualitätsverbesserung: durch ein besseres Arzt-Patienten-Gespräch, durch genaueres Zuhören.

Das Institut für hausärztliche Fortbildung definiert es so:

"Das Gespräch ist das wichtigste Instrument des Arztes". Leider hat es in der täglichen Praxis oft nicht den optimalen Effekt: 53 bis 89 Prozent der Patienten verstehen nicht, was der Arzt ihnen gesagt hat. Höchstens 50 Prozent der Patienten nehmen die verordneten Medikamente ein. 28 bis 71 Prozent der ärztlichen Instruktionen werden vergessen.

Seit Jahren gilt daher in der Schmerztherapie die Regel: Sich mehr Zeit nehmen!

Das intensive Gespräch dient dabei als Basis für die 1. Stufe: zur Optimierung der Behandlung der Grunderkrankung und zum Beginn einer sinnvollen Therapie.

Die 2. Stufe ist die Verminderung der Schmerzwahrnehmung mit Medikamenten und mit schonenden, minimal-invasiven Verfahren.

Die 3. Stufe ist die Linderung der körperlichen, seelischen und sozialen Folgeerscheinungen chronischer Schmerzen.

Die Medizin hat gerade in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte auf dem Gebiet der Schmerzforschung, der Schmerzprävention, also der Vorsorge zum Beispiel vor und nach Operationen und der Therapie von chronischen Schmerzen mit zum Teil neuen, zum Teil längst bekannten Medikamenten gemacht. Es ist mittlerweile üblich, dass sich Ärzte verschiedener Fachbereiche in ihrem Handeln abstimmen. Dieses "interdisziplinäre Vorgehen" ist Voraussetzung für eine bessere Qualität und eine größere Zufriedenheit der Patienten.

Schmerzpatienten möchten:

  • aktiver leben und wieder in die Gesellschaft integriert werden,
  • wenn möglich, Freude, Lebenslust und Würde erfahren,
  • sie setzen enorme Energien frei beim Versuch, aus ihrer Situation herauszukommen,
  • sie sehnen sich nach dem Genuss, schmerzarm und beweglich zu sein,
  • sie erwarten eine gute Medikation, wenig Nebenwirkungen und eine umfassende ärztliche Führung,
  • sie würden gern Vertrauen haben, haben aber auch viele Zweifel,
  • sie haben Angst, bevormundet zu werden,
  • sie waren oft bei Ärzten verschiedenster Fachgebiete, die ihre spezifischen Therapien durchführten, ohne dass ihnen geholfen werden konnte.

Es gibt keinen allgemeingültigen Weg, wie man als Arzt mit Schmerzen umgehen soll oder sollte. Gute Schmerztherapie muss den Menschen wieder in die Mitte einer Gesellschaft stellen, die leider meist nur auf Funktionieren, Leistung, und reibungslose, wirtschaftlich ertragreiche und hektische Betriebsamkeit ausgerichtet ist. Schmerz isoliert, kapselt ab, vereinsamt, macht unsicher und beraubt den Patienten seiner Würde, reduziert ihn. Schmerztherapie soll das Leben mit dem Leiden erträglicher machen, die Regenerationsfähigkeit des Menschen stärken und erhalten.