Arzt will er werden, dazu braucht man zwei gesunde und funktionsfähige Hände. Er befindet sich derzeit im sogenannten Lektorat, das ist ein Vorbereitungskurs für das Studium. Wenn er die Abschlussprüfung in wenigen Tagen besteht, dann hat er seine deutsche Hochschulzulassung und möchte das studieren, was ihm liegt und was für ihn ungemein wichtig ist: Medizin. „Das war immer mein Traum, Arzt zu werden, um anderen helfen zu können“, berichtet der Mann aus dem nordöstlichen Afrika. So hat der jetzt 26-Jährige sein Leben geplant und auch schon das Medizinstudium in seiner Heimat Eritrea begonnen, berichtet er. Mit 18 Jahren kam er nach der elften Schulklasse ins Militärlager und wurde von dort später auf das College nach Asmara geschickt, die Hauptstadt von Eritrea. Das College ist eine Eliteschule des Militärs in seinem Heimatland. Fünf Jahre studierte er dort Medizin.
Bei einem Fußballspiel mit Kommilitonen begann sein Leidensweg. Er stürzte und verletzte sich an der Hand. Der heimische Arzt meinte, dass sich die Schmerzen schon geben und die Verletzung ausheilen werde. Ein folgenschwerer Fehlschluss. Habtom Ghirmay behielt seine Schmerzen, die unterschiedlich stark auftraten. Im Laufe der Zeit wurde er auch aus einem anderen Grund zunehmend unzufrieden. Er haderte mit dem Militärregime in seiner Heimat und damit, dass sein Studium ins Stocken geriet. Immer wieder fielen wichtige Seminare und Kurse am College aus. Seine höfliche Nachfrage bei der Militärführung, wann es denn weiterginge, brachte ihn sofort ins Gefängnis. Er wurde misshandelt, kam später aber wieder frei. Die Vereinten Nationen berichten immer wieder von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen in Eritrea, willkürlichen Tötungen und Verhaftungen, dem unerklärlichen Verschwinden von Menschen und Folter. Festgestellt wird immer wieder, dass die Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt sind. Auf der jährlich erscheinenden Rangliste für Pressefreiheit steht dieser afrikanische Staat wiederholt auf dem Platz 180, also dem letzten Platz. Eritrea wird von vielen Staatsrechtlern als Diktatur bezeichnet, obwohl die Verfassung des Landes demokratische Grundlagen festschreibt. „Wer sich nach Freiheit sehnt, muss entweder alles stehen und liegen lassen und aus seinem Heimatland fliehen – oder sein Leben aufgeben“, sagt der 26-Jährige mit Nachdruck. Er ist geflohen. Von seinem Heimatdorf Shambiko ging es zu Fuß nach Äthiopien, dann weiter zu Fuß in den Sudan. Er hatte sich ein bisschen Geld zusammengespart und fuhr dann mit einem Pickup durch die Wüste Sahara nach Libyen. Sein letztes Geld gab er für die Überfahrt mit einem „Seelenverkäufer“ nach Sizilien aus. Von dort schlug er sich dann völlig mittellos nach Deutschland durch und landete in Schleswig-Holstein.
Über Neumünster ging es in das Flüchtlingslager nach Gettorf. Ein strapaziöser Weg, monatelang war er unterwegs. Im August 2013 ist er gestartet und im April 2015 angekommen, erzählt er. Und in Gettorf hatte er seinen zweiten Unfall. Wieder beim Fußballspiel mit anderen Flüchtlingen stürzte er und fiel auf die gleiche Hand, die sogleich anschwoll. Der Arzt schickte ihn zu Lubinus nach Kiel. Hier kümmerten sich die Spezialisten der Abteilung für Hand- und Mikrochirurgie um die Verletzung. Die Diagnose war schnell gestellt. Das Kahnbein der Hand war gebrochen, eine sogenannte Scaphoid-Fraktur. Und das nicht zum ersten Mal. Bei seinem ersten „Fußball-Unfall“ im Jahre 2010 war dies ebenfalls gebrochen und natürlich nicht richtig zusammengewachsen. Dann gab es ein weiteres gravierendes Pro-blem. Die Kosten für die Behandlung des Flüchtlings wurden von den zuständigen Stellen nicht genehmigt, weil er sich die Grundverletzung nicht in Deutschland, sondern in Eritrea zugezogen hätte, berichtet Habtom Ghirmay. Das schließe eine Kostenübernahme für diese notwendige Operation aus. „Für mich brach eine Welt zusammen“, erzählt Habtom Ghirmay, „wie sollte ich bei diesen Schmerzen überhaupt einer beruflichen Tätigkeit nachgehen.“ Sein Traum von einem Medizinstudium und seiner späteren Tätigkeit als Arzt schien von jetzt auf gleich geplatzt. Er war am Boden zerstört, die Aussicht, stark eingeschränkt zu sein und immer nur mit Schmerzen leben zu müssen, ließ ihn verzweifeln. „Das Schicksal des jungen Mannes und sein unerschütterlicher Wille, in Freiheit zu leben, hat uns berührt“, begründet der Vorstandsvorsitzende Otto Melchert das Engagement der Lubinus-Stiftung. „Ohne Operation und eine adäquate Weiterbehandlung hätte möglicherweise Habtom Ghirmay nie mehr seine Hand richtig einsetzen können“.
So beschloss Lubinus die komplette Behandlung für den jungen Mann aus Eritrea zu übernehmen. „Als ich völlig unerwartet von der Hilfe erfuhr, kam es mir wie ein Wunder vor“, strahlt er, „ich habe mein Glück kaum fassen können“. Er sei unendlich dankbar, weil ihm diese Hilfe seine Zukunft gesichert habe. „Das ist eine Investition in meine Zukunft gewesen und ich hoffe, dass ich das irgendwann in einer Form wieder zurückgeben kann“. Im Mai 2015 wurde er das erste Mal operiert. „Ich hätte den Eingriff unter einer Teilnarkose gerne verfolgt“, erzählt er begeistert, „doch ich bekam eine Vollnarkose“. Zwei Monate später folgte der zweite Eingriff, den er sich dann genau anschauen durfte. Mittlerweile ist er völlig genesen und kann seine Hand problemlos bewegen und einsetzen. Im Februar hofft er nun, seine Hochschulzulassung zu bekommen. Er ist schon auf der Suche nach einem Studienplatz. Vielleicht werde ein Teil seiner Medizinausbildung aus Eritrea anerkannt, hofft er. Eigentlich wollte er Kardiologe werden, doch vielleicht sei Orthopädie nun doch die bessere Disziplin für ihn. Habtom Ghirmay hat mittlerweile ein Bleiberecht erhalten, seine Aufenthaltserlaubnis beläuft sich auf drei Jahre.