Einmal nach Lubinus!
Vom Zander-Institut zur orthopädischen Klinik
Natürlich kostet die Umsetzung seiner Vision Geld, viel Geld. Er braucht also Förderer und Sponsoren. So gründet Lubinus eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und verkauft Geschäftsanteile an Kieler Ärzte und namhafte Professoren. Obwohl der Arzt in kaufmännischen Fragen eher unerfahren ist, hat er mit diesem Finanzierungskonzept außerordentlich viel Erfolg. Die Anteile werden durchweg ohne zu zögern gekauft, offenbar hat er eine außerordentliche Überzeugungskraft. Ein weiteres Plus dürfte wohl die Tatsache sein, dass Lubinus in medizinischen Fachkreisen als außerordentlich qualifiziert gilt. Außerdem hat sich Johann Hermann Lubinus einen Namen damit gemacht, dass er mit dem ihm anvertrauten Geld sparsam umgeht.
Schon in der Entstehungsgeschichte des Krankenhausbetriebes Lubinus finden wir den Namen des Chirurgen und „Erfinders“ der Asepsis, Gustav Adolf Neuber. Er ist übrigens der Gründer des Sankt-Elisabeth-Krankenhauses in Kiel, das 117 Jahre später zur Lubinus-Stiftung hinzukommen wird. Er beteiligt sich mit einer Einlage von dreitausend Mark bei Lubinus und wird Gesellschafter.
Der Visionär mietet sich im Stadtteil Brunswik, in einem dreistöckigen Wohnhaus ein und stellt Zander-Apparate auf. Diese werden anfangs ausschließlich von schwedischem Personal bedient.
Das Vorhaben scheint zu funktionieren, doch schon bald stellt sich ein anderes Problem heraus. Die Entfernungen, die seine Patienten zurücklegen müssen. Die Brunswik ist nach den damaligen Verkehrsmaßstäben sehr weit draußen. Viele seiner vielfach auch gehbehinderten Patienten mussten häufig von weiter her anreisen. Und diese Anreise ist für manche Kranke extrem beschwerlich und überschreitet oft aus Sicht des Mediziners die Grenze der Zumutbarkeit. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Verkehrsmittel selbst richtig schlecht sind. Kein Wunder also, dass der Arzt nach Auswegen, also nach geeigneten Unterkünften Ausschau hält, um seine Patienten stationär behandeln zu können. Und er wird fündig: Leerstehende Baracken in der Nähe des heutigen Nord-Ostsee-Kanals. Dort lebten bis zur Fertigstellung der künstlichen Wasserstraße die Bauarbeiter. Diese Baracken bilden den ersten und entscheidenden Schritt zum orthopädischen Krankenhaus in Kiel. Zwar eine Notlösung, die aber perfekt zu sein scheint. Die Behausungen sind gerade einmal 100 Meter von seinem Institut entfernt und werden ihm zu günstigen Konditionen überlassen. Im Preis inbegriffen ist übrigens die komplette Bettwäsche. 1903 schon kauft er dann das Nachbarhaus in der Brunswiker Straße dazu. Rund 3 Jahre später ist nach weiteren Umbauarbeiten erstmalig von der Krankenstation des Herrn Dr. Lubinus die Rede.
Baracke bei Rade
Quelle: Uwe Steinhoff
Baracke Kiel-Wik
Quelle Uwe Steinhoff
Schon früh knüpft Lubinus ein funktionierendes Netzwerk zu den Howaldtswerken, zur Kaiserlichen Torpedowerkstatt (einem Vorläufer der späteren Krupp MaK Maschinenbau GmbH) und anderen Kieler Großbetrieben. Er wird beauftragt, die medizinische Behandlung deren Arbeiter zu übernehmen. Ein lukratives Geschäft, denn Unfälle gehören bei den Arbeitsbedingungen in den Großunternehmen der damaligen Zeit zum Alltag.
Rasend schnell verbreitet sich der gute Ruf der Lubinus-Klinik und das sogar über Kiel hinaus. Die medizinische Unterversorgung im ganzen Land sorgt dafür, dass auch Patienten aus Husum, Heide und Dithmarschen anreisen, um seine ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Bereits 1910 entstehen in der Lubinus-Klinik 78 Betten und so wird das Haus zu einem wichtigen stationären Versorger im Fachbereich Orthopädie. Während des Ersten Weltkrieges wird die Klink dann vergrößert und als Marine-Reservelazarett genutzt. Der Arzt Johann Hermann Lubinus wird in dieser Zeit zum Sanitätsrat ernannt.
Er nutzt diese Zeit, um sich verstärkt in der medizinischen Wissenschaft zu engagieren. Am 1. Mai 1903 verleiht ihm das Kaiserliche Patentamt Berlin ein Patent für »ein Verfahren zur Behandlung von Verkrümmungen der menschlichen Wirbelsäule«. Er verfasst darüber hinaus ärztliche Lehrbücher zu den Themen Massage und Heilgymnastik, veröffentlicht Arbeiten zum Beispiel über die Behandlung der schweren Skoliose oder zur Fortbildung von Ärzten.
Johann Hermann Lubinus ist auch standespolitisch tätig. Von 1904 an ist er zweieinhalb Jahrzehnte lang Vorsitzender des Kieler Ärztevereins und steht darüber hinaus mehrere Jahre an der Spitze der Kassenärztlichen Vereinigung.
Die zweite Generation kommt auf den Plan: 1923 tritt Sohn Johann-Georg Lubinus in die Klinik ein. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat er sein Medizinstudium in Würzburg unterbrochen und sich freiwillig an die Front gemeldet. Nach Ende des Krieges im Jahre 1918 studiert er weiter. Nach nur einem Jahr macht er sein Physikum und nach weiteren zwei Jahren sein Staatsexamen. Er arbeitet jedoch nicht als Orthopäde, wie sein Vater, sondern als Chirurg.
Am 23. Mai 1937 stirbt 72-jährig der Sanitätsrat Johann Hermann Lubinus. Er war immer überzeugt davon, dass sein Unternehmerblut in den nachfolgenden Generationen weiterfließen wird. Und genau das werden wir später noch näher erfahren.
Inzwischen ist die Lubinus-Klinik jedem Kieler ein fester Begriff: „Einmal nach Lubinus!“, rufen Fahrgäste dem Schaffner der Straßenbahn zu, die in die Brunswiker Straße wollen.
Unternehmerischer Mut, finanzielle Solidität und familiäre Kontinuität sind die Begleiter des visionären Arztes und das Rezept für den medizinischen, wissenschaftlichen und letztlich auch unternehmerischen Erfolg des Hauses Lubinus.